KLA: Der schmalste Grat

SV Orsingen-Nenzingen – SC Gottmadingen-Bietingen II: 2:1 (1:0)

In Zeiten der Bundestagswahl wird es derzeit wieder einmal mehr als deutlich: Zwischen Niete und Gewinner, zwischen Profi und Amateur, zwischen Depp und Held der Nation liegt oft ein schmaler Grat. Dass er diesen einmal wieder maßlos überschritten hat, merkt der Zirkusartist aber dann leider auch erst beim Aufprall in Mitten der Manege. Dachte er vor einigen Minuten noch, für die 15 Rückwärtssaltos auf der alten Kreidler Florett bei Windstärke 4 sollte ein drei Zentimeter breites Drahtseil doch eigentlich ausreichend sein. Die Zuschauer applaudieren – was für eine Unterhaltung, welch grandiose Show.

Auch im Fußball ist zwischen genutzter und verpasster Gelegenheit bekanntermaßen ein schmaler Grat. Gemeinhin wird dieser im deutschen Volkssport als „Tor“ bezeichnet und entscheidet recht simpel über Erfolg und Misserfolg. Wer erinnert sich noch an Mario Gomez bei der EM 2008? Das Spiel der deutschen Adler im Ernst-Happel-Stadion in Wien läuft seit fünf Minuten als Miroslav Klose sich herrlich über rechts durchsetzt, in den Strafraum dribbelt und maßgerecht für den deutschen Torero auflegt. Der schöne Schwabe bringt das Kunststück fertig, etwa 2,50 Meter vor dem Tor, den Ball in etwa in die selbe Höhe, keineswegs aber auch nur einen Zentimeter nach vorne zu bugsieren. Statt frenetischem Jubel auf den Fanmeilen des Landes, die Geburt einer neuen bildhaften Definition der „verpassten Großchance“. Was für eine Gurke. Was ein Blindgänger. Den hätte ich früher mit acht Bier im Schädel ja noch reingestolpert.

Was Mario Gomez im Großen und vor einem Millionenpublikum beruflich tut, können unsere Amateurkicker im zwar weitaus kleineren aber nicht wesentlich unspektakulären Rahmen schon lange. Woche für Woche gehen sie auf die Fußballplätze im Hegau, um mit einem lauten Knall wie einst Pikachu zu Raichu vom KFZler zum Torjäger und vom Studierenden zum Matchwinner zu fusionieren. Wohl bemerkt: Nicht immer erfolgsgekrönt.

Auch im Spiel gegen die Reserve des SC Gottmadingen-Bietingen bat der SVON dem Operettenpublikum im Sportpark einmal mehr ein besonderes Spektakel der vergebenen Möglichkeiten. Nahezu im Minutentakt blieben so viele Chancen ungenutzt, dass in Afrika von einem über den Toren im Sportpark verhängten Voodoozauber gesprochen werden würde. Immerhin Knobelspies mit besonders ansehnlichem Heber zu Beginn der Partie und der Mario Gomez des SV Orsingen-Nenzingen, Daniel Stemmer, ganz zum Schluss selbiger fusionierten ohne Verlust lebenswichtiger Organe und drückten die Pille an der bestmöglichen Stelle über die mit Kalk gezeichnete Linie. Da der SC GoBi II nur einmal aufs vom ON-Schlussmann gewohnt sicher bewachten Tor schoss, der Versuch war dann allerdings auch direkt ein Volltreffer, endete die Partie gewieften Mathematikern zufolge mit 2:1 für unsere Elf. Ein verdienter Sieg im strömenden Regen, der drei Punkte und ein Südkurier-Interview zufolge hatte, das in etwa so platt war, wie Ailton nach der Anfangsviertelstunde des Nordderbys.

In diesem Sinne. Auf bald, bis wiedersehen und immer daran denken: Es ist ein besonders schmaler Grat zwischen dem gesellschaftlich akzeptierten Bierdurst des Durchschnittsdeutschen und einer den Kopf tief ins Porzellan versenkten Nacht.

SV Orsingen-Nenzingen

2Marco Grabert 16 83'
4Steffen Maier 19 45'
5Nils Kox
12Jannik Link
6Nico Veit
14Felix Buhl
16Robin Trisner 2 83'
19Patrick Buhl 4 46'